Seit dem Mittelalter wurde die Toskana von nordeuropäischen Pilgern durchquert, die durch üppige Wälder, charakteristische Dörfer und Kunststädte nach Rom reisten und dabei der später als Via Romea Germanica bekannt gewordenen Route folgten. Dieser uralte Weg, der Stade mit Rom verbindet, verläuft über 2000 km in Deutschland, Österreich und Italien und kreuzt sich am Ende der Strecke mit der Via Francigena.
In der Toskana führt die Via Romea Germanica durch die Gebiete von Arezzo und Cortona: Genau diese Orte waren Zeugen der Ereignisse, die sich im Laufe der Jahrhunderte zugetragen haben, und bewahren noch heute faszinierende Erzählungen und Legenden, darunter Wunder, Erscheinungen und gefährliche Räuber.
Die Via Romea Germanica führt durch üppige, von den Casentino-Wäldern bedeckte Gebiete, in die Toskana. Jahrhundertealte Bäume bewachen spirituelle Orte wie die Wallfahrtskirche La Verna, deren Steine Zeugen des berühmten Wunders der Stigmata des Heiligen Franziskus waren.
Entlang des Weges, den man mit einem kurzen Abstecher von dem nach Bibbiena führenden Weg erreicht, befindet sich die Wallfahrtskirche Santa Maria del Sasso, ein religiöser Komplex aus der Renaissance, der nach einem wundersamen Ereignis auf einer kleinen Kirche aus der Mitte des 14. Jh. erbaut wurde. Die Überlieferung besagt, dass die Muttergottes im Jahr 1347 einem Mädchen aus der Gegend erschien und ihr einige Schoten schenkte, die mit Blut gefüllt waren. Im folgenden Jahr blieben Bibbiena und seine Umgebung von der Pestepidemie verschont: Die Schoten wurden als göttliches Schutzzeichen gedeutet, und in der Nähe des Ortes, an dem das Wunder geschah, wurde ein Oratorium errichtet. Im Laufe der Zeit folgten weitere Erscheinungen, und das Oratorium wurde um weitere Räume erweitert, bis das Heiligtum sein heutiges Aussehen erhielt, Ergebnis von Arbeiten, die Ende des 15. Jh, durchgeführt wurden.
Ein weiterer Ort mit einer wunderträchtigen Vergangenheit befindet sich in Cortona, auf dem letzten Abschnitt der toskanischen Etappen: die Wallfahrtskirche Santa Maria delle Grazie al Calcinaio, ein Renaissancebau, der mit einem Bildnis der Madonna mit Kind verbunden ist, das am Ostersonntag 1484 begann, Wunder zu wirken. An der Wand einer Ledergerberei angebracht, wurde das heilige Bildnis sofort zum Gegenstand der Verehrung, und man beschloss, ihm einen Tempel - das heutige Heiligtum - zu widmen, in dem das Bildnis noch heute über dem Hauptaltar bewundert werden kann.
Die Wälder und Städte bewahren nicht nur die Erinnerung an vergangene Jahrhunderte, sondern erinnern auch an eine jüngere Vergangenheit, die von Räubern und gefährlichen Schmugglern geprägt war.
Im 19 Jh. breiteten sich illegale und kriminelle Aktivitäten zwischen dem Casentino und der Stadt Arezzo aus. In Chitignano, wenige Kilometer hinter Santa Maria del Sasso, erzählt das Museo della polvere da sparo e del contrabbando (Museum für Schießpulver und Schmuggel) von bestimmten Aktivitäten, die weit über die Grenzen der Legalität hinaus florierten: Der Tabakhandel und die Schießpulverproduktion im Casentino entzogen sich lange Zeit der Kontrolle der lokalen Gesetze, und die Schmugglerei verbreitete sich in der ganzen Region. In den Wäldern sind noch einige "Stampfer"zu finden, die zum Stampfen der Bestandteile von Schießpulver verwendet wurden. Der größte von ihnen ist über einen Weg zu erreichen, der den suggestiven Namen „Polveriera dell’Inferno“ (Schießpulverfabrik der Hölle) trägt.
Auch Arezzo und seine Umgebung blieben von dem Phänomen des Räubertums nicht verschont, das sich ebenso schnell ausbreitete wie die Schmugglerei. In diesen Gebieten ist die Figur des Räubers Gnicche, der lange von sich reden machte, emblematisch geblieben. Sein Ruf als grausamer Verbrecher, Dieb und Glücksspieler vermischt sich mit dem romantischen Bild des rebellischen Gentleman, der von Liebhaberinnen umgeben ist und dem es nie an Eleganz fehlt.
Zu den Episoden, die das Leben und den Charakter von Gnicche am meisten charakterisieren, gehören jene, in denen er sich als Frau verkleidet, um sich auf Festen einzuschleichen, oder jene, in der er, tödlich verwundet, den Schützen beglückwünscht, der so treffsicher war, um ihn zu treffen.
Die Berühmtheit von Gnicche ist seit jeher von einer großen Faszination umgeben: Es gibt Geschichten und Sprüche über ihn und sogar einen von Francesco Guccini geschriebenen Comic. Noch heute kann man auf einer unbefestigten Straße außerhalb von Arezzo nach dem Torre di Gnicche suchen, einem kleinen Steinbau, der eines seiner zahlreichen Verstecke gewesen sein soll.